Der giftige Knollenblätterpilz sollte nicht mit Champignons verwechselt werden
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6 Minuten
Astrid Kurbjuweit

Lebensmittelskandale sind fast schon alltäglich geworden. Sabienes bittet deshalb diese Woche zu einer Blogparade zu diesem Thema. Oft bekommt man ja den Eindruck, man könnte schon fast überhaupt nichts mehr essen, weil man nie weiß, was da so alles drin ist. Dieser Eindruck ist sicherlich richtig, aber neu ist er nicht. Hier soll es also mal um eine Art geschichtlichen Überblick gehen.

Gift im Essen vermeiden ist schon immer aktuell

Schon die Jäger und Sammler waren mit der Frage konfrontiert, was sie essen können und was nicht. Denn längst nicht alle Beeren und Pflanzen, die man so findet, sind genießbar. Die Natur hat starke Gifte hervorgebracht, von denen man sich besser fernhält. Die frühen Menschen kannten die Unterschiede zwischen den genießbaren Lebensmitteln und ihren giftigen Doppelgängern.

Auch Tiere wissen um genießbare Pflanzen und machen einen Bogen um Giftiges und Ungenießbares.

Heute kann kaum noch jemand die Kirsche von der Tollkirsche unterscheiden, den Champignon vom Knollenblätterpilz oder den Bärlauch vom Maiglöckchen. Das ist auch nicht nötig, denn heute kommen die Lebensmittel aus dem Supermarkt. Andere haben die Auswahl für uns getroffen. Das ist bequem, aber auch eine Form der Abhängigkeit.

Viele wissen nicht, dass auch unsere Kulturpflanzen giftig sein können. Kartoffelpflanzen sind zum Beispiel vollständig giftig, bis auf die Knollen. Ebenso Tomatenpflanzen, mit Ausnahme der roten Früchte. Bohnen sind komplett giftig, nur dass das Gift durch Kochen zerstört wird. Rohkost ist also auch nicht immer gut.

Haltbarmachen und Verderb, Hygiene

Mit der Entwicklung der Landwirtschaft und der Sesshaftigkeit wurde die Ernährung nach und nach auf Kulturpflanzen und Haustiere und ihre Produkte umgestellt. Damit kamen aber neue Probleme, die viel mit verdorbenen Lebensmitteln zu tun hatten. Denn Erntezeit ist nur einmal im Jahr, das Haltbarmachen von Lebensmitteln war vor der Erfindung des Kühlschranks und der Tiefkühltruhe eine Kunst. Dass Lebensmittel von Schimmelpilzen befallen werden, ist also keineswegs neu. Im Unterschied zu heute, wo man Verschimmeltes einfach wegwerfen kann, war dies in Zeiten der Lebensmittelknappheit nicht so einfach möglich.

Fleisch war im wesentlichen nur im lebenden Zustand haltbar. In dem Zustand braucht es aber Futter, das die Menschen oft lieber selbst gegessen haben. Mit der Schlachtung großer Tiere ergab sich immer auch ein Problem der Haltbarkeit. Aber auch bei kleineren Tieren war es oft nicht klar, wann der Zustand „gut abgehangen“ in verdorben übergeht. Pfeffer war, wo es möglich war, welchen zu bekommen, ein beliebtes Gewürz, kann er doch den Verwesungsgeruch allzu gut abgehangenen Fleisches überdecken. Probleme dieser Art sind heute zwar nicht ganz unbekannt, aber doch deutlich weniger verbreitet.

Mit der Industrialisierung zogen immer mehr Menschen in Großstädte, die zum Teil rasant wuchsen. Die Wasserversorgung und die Abwasserentsorgung wuchsen erheblich langsamer. Oft nahmen die Menschen ihr Trinkwasser aus demselben Fluss, in den sie auch ihre gesamten Abwässer kippten. Krankheiten und Epidemien, verursacht durch Cholera und andere Erreger, waren die Folge. Heute ist Trinkwasser normalerweise frei von menschlichen Fäkalien, das war keineswegs immer so.

Viele Jahrhunderte lang gab es in Europa für arme Leute im wesentlichen nur ein Lebensmittel: Brot. Das war zwar ein unter heutigen Gesichtspunkten äußerst hochwertiges Vollkornbrot, aber die Notwendigkeit zu solch einseitiger Ernährung kann auch als Lebensmittelskandal angesehen werden.

Mutterkorn

Hinzu kam ein Problem, das heute, durch die industrialisierte Verwertung des Getreides, weitgehend unbekannt ist: Mutterkornvergiftungen. Vor allem nach eher nassen, kühlen Sommern war die Mutterkornvergiftung eine häufige Krankheit, deren Ursache allerdings erst relativ spät bekannt geworden ist.

Mutterkorn ist ein Pilz, der auf Getreideähren wächst. Vor allem Roggen ist betroffen, aber auch alle anderen Getreidesorten können von Mutterkorn befallen werden. Anstelle eines Getreidekorns wächst ein dunkles, fast schwarzes, etwas größeres Korn, das Mutterkorn. Der Rest der Ähre ist unbeeinflusst. Dieses Mutterkorn wird zusammen mit dem anderen Getreide geerntet. Mutterkorn enthält stark wirksame Alkaloide, die unter anderem Halluzinationen, psychische Veränderungen, Krämpfe und Durchblutungsstörungen hervorrufen können. Der Tod ist eine nicht allzu seltene Folge. Dabei treten massive Krankheitserscheinungen schon nach sehr geringen Dosen auf.

Mutterkorn wirkt aber auch auf die Gebärmutter, kann Wehen auslösen und damit auch abtreibend wirken. Es kann auch die Blutungen nach der Geburt stillen. Diesen Wirkungen verdankt der Pilz seinen Namen. Ein Alkaloid aus dem Mutterkorn, die Lysergsäure, ist einer der Ausgangsstoffe für LSD. Mutterkorn ist also ein sehr starkes Gift, das zu vermeiden in früheren Zeiten äußerst schwer war.

Heute wird Mutterkorn durch die automatisierte Reinigung und Aussiebung des Getreides vor dem Mahlen entfernt. Seit der Einführung moderner Mahlverfahren ist die Mutterkornvergiftung weitgehend unbekannt. Nur durch die Verwendung von ungereinigtem Getreide zum Selbermahlen kann auch heute noch eine Vergiftung passieren. Zuviel Bio ist also in diesem Fall nicht unbedingt die bessere Lösung.

Arbeitsteilung

Durch die Einführung der Arbeitsteilung kam es dazu, dass nicht mehr jeder sein eigenes Brot, sein eigenes Bier undsoweiter herstellte. Die professionellen Bäcker, Brauer und anderen Lebensmittelhersteller lebten genau wie heute mit einer gewissen Versuchung zum Panschen. Allerdings hat sich seitdem einiges verändert. Zum einen gibt es heute Lebensmittelkontrollen, auch wenn sie nicht so gut funktionieren, wie man sich dies wünschen würde. Zum anderen, und das scheint zumindest psychologisch die wirksamere Veränderung zu sein, war früher der Bäcker, der unter Umständen interessante Substanzen in seinem Brot verbacken hatte, eine konkrete Person, die man kannte. Den man auch, so man ihn denn erwischen konnte, persönlich verantwortlich machen konnte.

Heute ist der Verkäufer der Lebensmittel jemand, der mit der Herkunft und Herstellung dieser Produkte nichts zu tun hat, der auch nichts davon versteht. Der Produzent ist, genau wie der Verkäufer, in den meisten Fällen ein anonymer Konzern, der sich hinter nichtssagenden Marketingsprüchen versteckt. Die Verantwortung wird von einem zum nächsten geschoben, am Ende war es niemand. Die Politik, die diese Vorgehensweisen duldet und fördert, appelliert an die Verantwortung des Verbrauchers, der ohnmächtig zusehen muss, weil er eben so gut wie keine Möglichkeit zu diesem verantwortungsvollen Handeln hat.

Gift im Essen ist nichts Neues

Gift ist also schon immer im Essen. Auch wenn es einem manchmal so vorkommt, war früher keineswegs alles besser. Es war nur anders. Heute treibt der Hunger nur noch sehr wenige dazu, verdorbene Lebensmittel zu essen. Heute haben wir das ganze Jahr über die vollständige Auswahl aus allen Obst- und Gemüsesorten, wir können jeden Tag frisches Fleisch essen, mit oder ohne Pfeffer. Es gibt immer Milch und frische Eier, alles ist ständig und in großer Auswahl verfügbar. Das gilt sowieso für verarbeitete Lebensmittel, die es in so großer Auswahl wie nie zuvor gibt.

Die Zeiten, in denen es im Winter Kohl und Rüben gab, vielleicht noch mit fettem, geräuchertem Speck, dazu Brot und Kartoffeln, die sind vorbei. Heute essen wir ganzjährig frisches Obst und Gemüse in allen Sorten, kochen nur dann, wenn wir Lust dazu haben und können uns ständig perfekt mit allen Nährstoffen versorgen.

Allerdings scheinen wir vergessen zu haben, dass diese ständige Verfügbarkeit ihren Preis hat.

Ohne künstliche Beeinflussung geben Kühe nur im Sommerhalbjahr Milch, legen Hühner nur im Sommer Eier. Frisches Obst und Gemüse wird nur einmal im Jahr geerntet, nur wenige Sorten sind ohne Konservierung länger haltbar. Exotisches Obst und Gemüse wächst überhaupt nur anderswo, nicht hier. Es kann nur deshalb genug Getreide für alle geerntet werden, weil die Felder gedüngt, die Pflanzen vor Schädlingsbefall geschützt werden. Sonst wären die Erntemengen erheblich kleiner, die Preise erheblich höher. Verarbeitete Lebensmittel entstehen als Folge eben dieser Verarbeitung, damit verdient jemand sein Geld. Dieser Jemand ist in der heutigen Zeit meist ein Konzern, kein persönlich bekannter Mensch.

Wir haben die Kontrolle über das, was wir essen, weitgehend aus der Hand gegeben. Nur zu gerne glauben wir den Versprechen, wir könnten ständig alles zu einem minimalen Preis bekommen.

Dabei hilft oft ein wenig Rechnen, oder auch die Benutzung des Verstandes. Ein Fertiggericht kostet oft weniger als man ausgeben müsste, um ein entsprechendes Gericht selbst zu kochen. Das liegt nicht an der Menschenfreundlichkeit der Produzenten, das liegt daran, dass die Inhaltsstoffe, die tatsächlich Geld kosten, nur in homöopathischer Dosierung enthalten sind. Während man beim Selbstkochen bestimmt 150 Gramm Gemüse pro Person verwendet, sind im Fertiggericht vielleicht 10 oder 15 Gramm enthalten. Die Differenz besteht dann zum Beispiel aus Maltodextrin, einer Zuckerart, die als Füllstoff verwendet wird. Durch die Zugabe diverser Zusatzstoffe werden Konsistenz und Geschmack des Gerichtes trotzdem den Eindruck eines richtigen Essens machen. Leider ein Eindruck, der täuscht.

Erdbeeren sind normalerweise nach dem Pflücken ein paar Stunden haltbar. Wenn man im Winter oder Frühjahr Erdbeeren aus entlegenen Erdgegenden bekommt, dann sollte klar sein, dass das entweder keine normalen Erdbeeren sind, oder dass sie mit was auch immer behandelt wurden. Die beste Logistik der Welt kann die Reisezeiten nicht auf Null senken.

Wenn wir ganzjährig frisches Gemüse essen wollen, muss uns klar sein, dass das unter Glas gezogen wird, mit allen Nachteilen, die das mit sich bringt. Dazu gehört auch ein erhöhter Aufwand an Pestiziden und Insektiziden.

Der Versuchung zum Panschen sind Menschen wohl schon immer erlegen, warum sollte es heute anders sein. Niemand kann feststellen, ob das, was auf der Packung steht, auch tatsächlich so im enthaltenen Produkt drin ist. Wir müssen es glauben. Es ist also nicht wirklich verwunderlich, wenn Aufdruck und Inhalt nicht immer so ganz übereinstimmen.

Während allerdings früher zum Beispiel Bier oder Wein mit Wasser gestreckt wurden, werden heute vielfach Substanzen im Essen gefunden, die man wirklich nicht essen möchte oder sollte.

Der Hauptunterschied zu früher ist wohl, dass wir unser Essen nicht mehr selbst herstellen, oder nur noch zu einem kleinen Teil. Wir sind den Produzenten und Verarbeitern mehr oder minder ausgeliefert. Es kann helfen, mehr selbst zu machen. Wer statt Fertiggerichten naturbelassene Zutaten kauft und selbst kocht, der vermeidet schonmal eine ganze Reihe von Zusatzstoffen. Wer dann möglichst so kauft, dass er nicht nur den Händler, sondern auch den Produzenten selbst kennt, der gewinnt noch ein wenig mehr Sicherheit. Durch die Verwendung saisonaler Produkte kann man sich nochmal verbessern, indem man zum Beispiel im Winter Kohl statt Salat oder Paprika isst. Wer schließlich dazu übergeht, seine Lebensmittel oder zumindest Teile davon selbst herzustellen, der tut das Maximum dessen, was heutzutage noch möglich ist. Illusionen sollte man sich allerdings besser nicht machen. Schadstofffreiheit ist kaum noch zu erreichen, und Selbstversorgung ist ein Vollzeitjob. Kompromisse sind gefragt.

5 Kommentare

  1. Dein Artikel ist unglaublich interessant! Natürlich gab es Gift im Essen schon immer.
    Der Unterschied von den früheren Zeiten zu unserer modernen Welt liegt aber in der Profitgier der Unternehmen. Und somit sind wir einer Willkür ausgesetzt und nicht unserer eigenen Dummheit, weil wir mal wieder eine Kirsche mit einer Tollkirsche verwechselt haben.
    LG
    Sabienes

    • Du bringst es auf den Punkt. Genau das ist das Problem. Allerdings sollte man die Sache mit dem Hunger nicht vergessen, den wir heute nicht mehr haben.

  2. Hut ab!
    Das ist eine ganz andere Ausleuchtung, aber nicht minder interessant.
    Ich glaube, den größten Schreck meines Lebens habe ich mal bekommen, als mein Gastvater vor 20 Jahren bei meiner Erzählung, dass ich oft von Kirschbäumen gefallen bin, meinte: Wie? die wachsen auf Bäumen?
    Jupps, und Kühe sind nicht lila!
    In diesem Sinne,
    LG,
    Sabo

  3. Hallo Astrid,
    wirklich interessant, was Du zum Thema beigetragen hast. Nach Deinem erwähnten Kompromiss suchen wir auch noch, selbst kochen, ab und an beim Bauern nebenan einkaufen und hoffen, das die Produkte die wir zum Kochen und Backen verwenden einigermaßen in Ordnung sind.

    Liebe Grüße
    Sandra

  4. Wow…ich finde du hast einen sehr interessanten Artikel geschrieben.

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Beitragsbild: Predrague/Shutterstock