Abnehmkurs: Der Umgang mit Stress

Stress und Essen - so wird man dick
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5 Minuten
Astrid Kurbjuweit

Die meisten Abnehmwilligen betrachten ihr Übergewicht oder ihren Wunsch nach weniger Kilos als isoliertes Problem, das nichts mit den sonstigen Problemen des Lebens zu tun hat. Diese Sichtweise ist einer der Gründe dafür, dass Abnehmversuche so häufig scheitern. Denn Übergewicht existiert nicht im luftleeren Raum, sondern ist immer Teil des Menschen und seines Lebens, untrennbar mit allen anderen Aspekten des Lebens verbunden.

Seit einigen Jahrzehnten nimmt die Zahl der Übergewichtigen rasant zu. Gleichzeitig hat sich in dieser Zeit die Lebensweise der Menschen ebenso rasant geändert, fast kein Aspekt des täglichen Lebens ist noch so, wie es für unsere Großeltern ganz selbstverständlich war. Eine der Veränderungen betrifft den ständigen Stress, dem heutzutage die meisten Menschen ausgesetzt sind.

Stress macht dick

Eine immer größer werdende Zahl von Menschen ist ständigem Stress ausgesetzt. Auch wenn Stress als solcher nicht ungesund oder schädlich ist, so ist ständiger, andauernder Stress doch eine Belastung, die krank, oder eben auch dick machen kann. Der Stress hat dabei zunächst nichts mit dem Körpergewicht zu tun, sondern ergibt sich aus der Lebensweise.

Sehr viele Menschen sehen sich direkt oder indirekt von Jobverlust bedroht und bemühen sich deshalb ständig um Höchstleistungen. Gleichzeitig werden Arbeitswege und Arbeitszeiten immer länger, während trotz aller Automatisierung der Haushalt noch gemacht werden muss, die Kinder noch erzogen werden müssen. Einkaufen wird immer zeitaufwendiger, die Geschäftsinhaber haben ein Interesse daran, die Kunden möglichst lange aufzuhalten. Wer keine Arbeit hat, muss mit Diskriminierung, Demütigung und Zukunftsängsten leben. Auch Langeweile und das Gefühl, nicht gebraucht zu werden, können sehr stressig wirken.

In der Freizeit, die eigentlich den Ausgleich bieten sollte, geht der Stress dann weiter. Sport und Fitness, Wellness, gesunde Ernährung, kulturelle Angebote, Weiterbildung und vieles mehr sind alles grundsätzlich gute Dinge, die aber im Übermaß, und wenn sie zusätzliche Termine im ohnehin durchorganisierten Alltag bedeuten, keine positive Wirkung entfalten können, nur noch zusätzlichen Stress bedeuten.

Viele Menschen streben nach Perfektion in allem, was sie tun. Das ist eine Überforderung, die natürlich auch nochmal zusätzlichen Stress verursacht.

Alle sind ständigen Belastungen und Bedrohungen durch Autoverkehr, Lärm, Hektik, Zeitmangel, Umweltverschmutzung, Gedränge, undurchschaubare Machtstrukturen und Entscheidungen, dem Gefühl des Ausgeliefertseins, ständigem Beobachtetwerden, und vielem anderem mehr ausgesetzt. Schlafmangel ist schon fast Standard, wird als normal empfunden. Es ist kein Wunder, dass Erkrankungen wie Depressionen und Burnout immer häufiger werden.

Aber auch Übergewicht kann eine Folge dieser stressigen Lebensweise sein. Wer keine Zeit hat, hat auch keine Zeit und vor allem keine Muße zum genussvollen Essen, erst recht nicht zum überlegten Einkaufen und entspannten Kochen. Wer hektisch einfach irgendwas reinschaufelt, isst für gewöhnlich zu ungesund und fast immer auch zuviel. Das subjektive Gefühl, nicht genug zu bekommen, täuscht.

Stress und Zucker

Anders als die Muskulatur kann das Gehirn seinen Energiebedarf nur durch Kohlenhydrate, durch Zucker, decken. Fette liefern Energie für Muskelarbeit, nicht jedoch für die Versorgung des Gehirns. Bei Stress, vor allem wenn er länger anhält, hat das Gehirn einen erhöhten Energiebedarf. Es ist also kein Zufall, dass Süßes als „Nervennahrung“ bezeichnet wird.

Eine ungenügende Versorgung des Gehirns mit Zucker oder Kohlenhydraten führt zu Konzentrationsproblemen, Müdigkeit, Gereiztheit bis hin zur Aggressivität, Fehleranfälligkeit und anderen kognitiven Einschränkungen. Lust auf Süßes oder allgemein Heißhunger ist eine häufige Folge.

Es ist also kein Wunder, dass es gerade unter Stress nicht gelingt, auf die süßen Leckereien zu verzichten. Dass man gerade unter Stress einfach mehr isst, als man wirklich braucht, dass Stress jeden Abnehmversuch nach kurzer Zeit zunichte macht. Denn auch wenn das Gehirn einfach nur mehr Zucker benötigt, so isst man ja doch mehr von allem, also insgesamt zuviel. Durch Disziplin, also noch mehr Stress, lässt sich das Problem nicht lösen. Das Gehirn braucht den Zucker als Energielieferant, und das Gehirn ist die Steuerzentrale, die auch darüber entscheidet, was und wieviel wir essen. Es nimmt sich, was es braucht. Der Rest wandert in die Fettzellen. Durch wiederholte Abnehmversuche, vor allem durch strenge Diäten, wird nichts besser, im Gegenteil, der Stress nimmt zu und alles wird noch schlimmer.

Abnehmen verursacht Stress

Wer also im Stress lebt, hat ein erhöhtes Risiko, dick zu werden. Einfach, weil man gegen die Steuersignale des Gehirns, das zum Essen auffordert, nicht ankommt. Wobei man vor lauter Stress für gewöhnlich auch erst (zu) spät merkt, dass diese Signale zum zuviel Essen auffordern. Ganz viele leben im Stress, immer mehr Menschen werden dick, es ist also ziemlich wahrscheinlich, dass diese Argumentation zumindest einen Teil der Wahrheit erklärt.

Wenn man dann dick geworden ist, hat man zusätzlichen Stress. Je mehr man wiegt, umso beschwerlicher wird das Leben. Übergewichtige werden diskriminiert und gedemütigt, was nochmal zusätzlichen Stress bedeutet. Man kann durchaus sagen, je mehr man wiegt, umso eher wird man weiter zunehmen.

Wer jetzt beschließt abzunehmen, macht sich natürlich nochmal zusätzlichen Stress. Jede Diät, jeder Abnehmversuch bedeuten einen zusätzlichen Aufwand, der irgendwie in den ohnehin schon überfüllten Tag gestopft werden muss. Und das Gehirn sendet weiterhin seine Signale, die zum Essen auffordern. Abnehmversuche, die scheitern, verursachen Frust und damit eben auch nochmal Stress.

Es ist ein Teufelskreis. Stress macht dick und Abnehmen ist stressig. Wie kommt man da wieder raus?

Konsequenzen

Wie bei allen Teufelskreisen findet sich zumindest auf den ersten Blick kein Ende, an dem man anfangen könnte. Aber wer sich in den Beschreibungen wiedererkennt, wer die beschriebenen Erfahrungen zumindest teilweise so oder so ähnlich schon gemacht hat, der wird bereits wissen, dass noch eine Diät wohl kaum schlank machen wird.

Aber selbst die vernünftigste Abnehmmethode nützt nur dann, wenn die gesamte Lebensweise überdacht wird. Wer schon daran scheitert, die nötige Muße zum Nachdenken aufzubringen, der hat eher schlechte Karten.

Wer es dagegen ernst meint, und nicht nur das Übergewicht weghexen möchte, der wird durch das Überdenken und Reflektieren über seine Lebensweise, über die Zusammenhänge von Stress, Übergewicht, Gesundheit und Krankheit den Anfang finden, der wird die ständige Drehung des Teufelskreises anhalten können.

Wenn am Anfang die Feststellung steht, dass Stress dick macht, dann hilft nur weniger Stress, wenn man zunächst mal nicht mehr zunehmen möchte. Das ist, auch wenn es wenig attraktiv erscheint, absolut Voraussetzung, ohne das wird man nicht auf Dauer abnehmen können. Erst wenn die Zunahme effektiv gestoppt ist, bringt auch eine Gewichtsreduktion einen Erfolg, der hinterher erhalten bleibt. Es hilft also nichts, man muss ehrlich mit sich selbst sein, die Ursache der Zunahme muss gefunden werden. Stress ist eine häufige Ursache. Wer also viel Stress hat, der sollte die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass er vielleicht deshalb dick sein könnte. Das schließt nicht aus, dass es noch mehr Ursachen geben kann, aber zumindet mal eine gefunden zu haben, ist immer ein guter Anfang.

Verkürzt zu sagen, dass man eben zuviel isst, und deshalb dick ist, hilft dagegen wenig.

Wer Stress hat und deshalb die Möglichkeit in Betracht ziehen sollte, dass der was mit dem Übergewicht zu tun hat, der kann durch Stressreduktion erfolgreich abnehmen. Und ein besseres Leben haben. Es kann gut sein, dass dann Ernährungsumstellung, Sport und alles, was sonst so zum Abnehmen empfohlen wird, keine Rolle mehr spielen.

Der Gedanke dahinter ist, dass sich durch erfolgreiche Stressreduktion, durch die Einführung von Muße ins Leben, die Ernährung ganz von alleine ändert, dass sich dadurch, dass man sich selbst und seine eigenen Bedürfnisse wieder spürt, auch das Bedürfnis nach Bewegung ganz von selbst bemerkbar machen wird, dass Hunger und Sättigung wieder wahr- und ernstgenommen werden können.

Stressreduktion

Stress zu reduzieren geht auf mindestens zwei Arten und Weisen. Man kann lernen, die Dinge entspannter zu sehen, zum Beispiel, indem man ein Entspannungsverfahren erlernt. Und man kann die Ursachen für den Stress abändern, dafür sorgen, dass es einfach weniger Stress gibt.

Es gibt sehr viele verschiedene Entspannungsverfahren, die nicht besser oder schlechter sind, die aber jeweils die Vorlieben unterschiedlicher Menschen treffen. Bevor man also sagt, dass das nichts für einen ist, sollte man sich zumindest mal erkundigen, was für Verfahren es gibt. Vielleicht ist ja doch etwas dabei, was einem gut tut. Und schließlich sind Entspannungsverfahren auch nur Hilfmittel, wem es gelingt, sich einfach so zu entspannen, der ist damit natürlich am besten bedient. Wer das aber verlernt hat, der tut gut daran, sich eines Hilfsmittels zu bedienen, zumindest solange, bis er wieder weiß, wie sich echte Entspannung anfühlt. Stress lässt sich besser bewältigen, wenn es zwischendurch stressfreie, entspannte Phasen gibt. Es hilft wirklich, sich diese zu verschaffen.

Die zweite Möglichkeit, die Veränderung der Ursachen des Stresses, die sollte man nicht einfach wegschieben, nicht einfach behaupten, dass das nicht geht. Irgendwas geht immer. Es ist eine Frage der Sichtweise. Es ist auch nicht nötig, sämtlichen Stress aus dem Leben zu entfernen, aber es ist hilfreich, ihn soweit zu reduzieren, dass man seine eigenen Bedürfnisse wieder spürt. Dass man wieder weiß, wann man Hunger hat, dass man bemerkt, wenn man satt ist und noch so einiges mehr.

Mit weniger Stress, mit etwas mehr Muße und Entspannung im Leben wird man dann zwar vermutlich nicht ganz von alleine gertenschlank werden, aber man wird in der Lage sein, sich soweit auf eine vernünftige Abnehmmethode zu konzentrieren und einzulassen, dass vielleicht nicht ganz stressfreies, aber doch stressarmes Abnehmen möglich wird.

Zur vierzehnten Folge des Abnehmkurses: Wieviele Lektionen braucht ein Abnehmkurs?

1 Kommentar

  1. Hallo Astrid,
    Du sagst: „Fette liefern Energie für Muskelarbeit, nicht jedoch für die Versorgung des Gehirns. “ Das stimmt zwar, aber man muß die Glukose doch nicht unbedingt essen. Die Leber ist ja imstande, aus Fett Glukose herzustellen (Glukogenese). Fett kann auf diesem Umweg also auch Gehirnnahrung liefern. So habe ich das jedenfalls in Biologie gelernt…

    Sonst finde ich Deine Empfehlungen sehr gut, denn sie packen das Problem wirklich an der Wurzel!

    Schöne Grüße!
    Karin

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Beitragsbild: YAKOBCHUK VIACHESLAV/Shutterstock